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Eines der brennendsten Probleme in der Mensch– Hund – Beziehung, ist das unerwünschte Aggressionsverhalten eines Hundes. Gerade hier existieren aber viele Märchen und Vorurteile über die Ursachen dieser Verhaltensweise in der Presse und Literatur.

Ziel dieses Artikels ist es Hintergründe und Ursachen möglichen Aggressionsverhaltens aufzuführen, sowie Erstmaßnahmen und mögliche Therapieformen aufzuweisen. Aggressionsstörungen dürfen jedoch nicht den Anlass geben selbsterdachte Therapien auszuprobieren und im heimischen Umfeld alleine herum zu basteln. Immer ist ein erfahrener Hundetrainer unumgänglich.

Dieser Artikel soll eine erste, oberflächlich einführende, theoretische Basis bieten auf welcher man mit Hilfe von erfahrenen Trainern im Umgang mit aggressiven Hunden aufbauen und das individuelle Problem angehen kann.

Zunächst einmal muss man sich vor Augen halten was Aggressionsverhalten eigentlich ist und wo die Ursachen liegen. Ist es entartetes Verhalten welches man ausmerzen muss oder ist es sogar wünschens- und fördernswert wie viele Hundehalter weltweit behaupten und praktizieren?

Erfüllt Aggressionsverhalten rein biologisch vielleicht sogar einen Zweck bei Hunden?

Rein wissenschaftlich erfüllt Aggressionsverhalten den Zweck der Schadensvermeidung und der Unversehrtheit des eigenen Körpers, weiterhin dient es dem Ressourcenerwerb und der Ressourcendeckung (WITTMANN 2002 & EIBL-EIBESFELD 1978). Auf Grund dessen stellt Aggressionsverhalten ein sich interaktiv entwickelndes Regulativ von Gruppen und unverzichtbarer Bestandteil des Sozialverhaltens dar (FEDDERSEN PETERSEN 2001).

Aggressionsverhalten muss als Wechselspiel von Genetik und Umwelteinflüssen gesehen werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Aggressivität vorrangig vererbbar wäre. Vererbt ist nur eine grundsätzliche breite Reaktionsnorm welche durch erlernte Lösungsstrategien und andere Umwelteinflüsse beeinflusst werden.

Prof. Irene STUR (2000) beschreibt dies wie folgt: „ Sowohl Aggression als auch Reizschwelle eines Hundes sind zwar grundsätzlich genetisch verankert werden aber maßgeblich durch Umwelt- und Haltungsbedingungen verändert.“ WILLYS (1994) geht soweit, den genetischen Anteil des Hervortretens von Aggressionsverhalten auf 10 % zu betiteln, der Rest wären erworbene Lösungsstrategien des einzelnen Hundes. Es gibt in der Wissenschaft absolute Einigkeit über die Tatsache, das aggressive Konfliktlösungsstrategien zum Großteil erworben und nur zu einem geringen Prozentsatz rein genetischer Natur sind. Die obige Liste ließe sich mit über 100 Studien erweitern.

Um nun zu verstehen warum Hunde aggressiv handeln müssen wir uns den verschiedenen Aggressionsmodellen zuwenden – sie alle ähneln sich und unterscheiden sich hauptsächlich durch die individuell gewählten Bezeichnungen der jeweiligen Aggressionsformen. Die geläufigsten Aggressionsmodelle sind die von H.R.ASKEW, K. OVERALL und FEDDERSEN-PETERSEN & HASSENSTEIN.

Ich persönlich bevorzuge das Aggressionsmodell von Feddersen – Petersen und Hassenstein welches folgende Aggressionsformen enthalten:

  • Aggression als Verteidigung - ( Schmerz, Schreck, ....)
  • Angriffsbereitschaft gegen Beutetiere - ( Jagdverhalten)
  • Aggression als Gegenangriff - ( Angstbeißer dem die Flucht nicht möglich ist,...)
  • Aggression gegen Geschlechtsrivalen ( Aggressivität unter Rüden, ....)
  • Aggression bei der Territoriumsverteidigung - ( Kettenhundesymptomatik)
  • Aggressivität als Machtprobe - ( Demonstration des eigenen hohen Ranges)
  • Gruppenaggression- ( Gruppenkeile für einen einzelnen Hund)
  • Aggressivität aus Frustration - ( oft muss ein Prügelknabe für erlittene Frustrationen herhalten)
  • Dr. Stemmler setzt noch die Pathogene (krankhafte) Aggression hinzu.

Aggressionsverhalten an sich stellt kein Problem dar. Es wird erst zu Problem, wenn es durch verschiedene Umstände hypertrophiert, den normalen Rahmen, den Rahmen den ein friedliches Zusammenleben von Hund und Mensch in unserer Gesellschaft erfordert, verlässt und dem Hund keine anderen Lösungsstrategien zur Verfügung stehen als aggressiv zu reagieren.

 

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Hier liegt auch der Schlüssel in der Behandlung der Aggressionsform. Man muss den Grund und Auslöser des Aggressionsverhaltens herausfinden um es wirksam in normale Bahnen zu lenken und dem Hund andere Lösungsstrategien aufzuweisen. Als grobe Richtlinie kann man behaupten, je ängstlicher, unsicherer und unsozialisierter ein Hund ist, desto eher wird seine Toleranzgrenze unterschritten und Aggressionsverhalten ausgelöst.

Wie gehe ich aber mit einem Hund um welcher Aggressionsverhalten an den Tag legt?

Zunächst einmal ist es wichtig – sowohl für uns selbst als auch für den später mitbehandelnden Trainer - den genauen Auslöser des Aggressionsverhaltens zu erkennen, zu wissen wie lange diese Störung schon vorliegt und wie gefährlich das Verhalten des Hundes objektiv betrachtet wirklich ist. Wird nur heiße Luft versprüht oder ist der Hund gewillt zuzubeißen? Schnappt er „nur“ oder ist er gewillt sein Gegenüber ernsthaft zu verletzen?

Bezüglich der zu erwartenden Prognose des Antiaggressionstrainings, egal ob zwischen Hunden untereinander, Hunden und anderen Tieren oder Hunden und Menschen - kann man sagen, dass pathogene Ursachen und ein Umfeld des Hundes welches bereit ist seine Hundesicht grundsätzlich zu überdenken und hart an sich zu arbeiten eine recht gute Prognose stellen.

Ebenfalls gut ist die Prognose, wenn der Auslösereiz des Verhaltens genau identifiziert werden kann, eine gute Bindung vorliegt, die Aggressionsstörung erst seit kurzem besteht und der Hund über Hör – und Sichtzeichen unter Kontrolle gehalten werden kann.

Eine schlechte Prognose ist immer dann gegeben, wenn Einsicht und Motivation der Besitzer fehlt, eine schlechte Bindung vorliegt, eine mangelhafte Kontrollierbarkeit des Hundes aufgrund einer schlechten Erziehungsarbeit vorliegt, die Aggressionsstörung schon lange vorliegt oder der Auslösereiz nicht fassbar ist.

Das A und O – ohne das überhaupt nichts läuft – ist jedoch die Bereitschaft mit allen Familienangehörigen hart und konsequent über Wochen und Monate täglich zu arbeiten und die Bereitschaft zu erkennen, dass man ohne professionelle Unterstützung überfordert ist.

Kann man dies bejahen steht einer Behandlung nichts im Wege. Man muss sich jedoch stets darüber im Klaren sein, dass man Aggressionsverhalten niemals abstellen kann – es gehört zu den natürlichen Überlebensstrategien aller Lebewesen. Man kann jedoch, je nach den oben genannten Prognosefaktoren, dieses Verhalten oft in eine sozialkompatible Form bringen die den Hund nicht zur öffentlichen Gefahr werden lässt. Ich sage bewusst oft, in Ausnahmefällen wird dies nicht immer möglich sein.

Als erste Sicherheitsmaßnahme und um ein weiteres Verfestigen des Verhaltens zu unterbinden, sollten je nach Auslösereiz Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden, welche bei innerartlicher Aggression das ständige Anleinen (ohne Ausnahmen) beinhalten können. Um das Tier nicht zu stark einzuengen es aber ständig unter Kontrolle zu halten, eignen sich aufrollbare Langlaufleinen ( Flexi) sehr gut, auch ein Maulkorb kann und muss hier die Umwelt vor dem Hund schützen, wenn er alleine mit der Leine nicht zu kontrollieren ist.

Bei Aggressivität Besuchern gegenüber muss dafür gesorgt werden, dass der Hund zunächst aus der Trubelecke der Begrüßungszeremonien verschwindet – unter Umständen sogar das Zimmer verlässt. Bei Aggressivität dem Besitzer gegenüber ist es angebracht auch hier die typischen Aggressionsauslöser zu vermeiden, dem Hund einen Rückzugsort zu gewähren und keinesfalls Unterdrückungsversuche des Hundes zu unternehmen.

All dies sind jedoch nur Ersthilferatschläge um Verletzungen zu vermeiden, bis man sich in professionelle Hilfe begibt. Belässt man es dabei wird man damit in den meisten Fällen die Situation verschlimmern da der Hund die aggressionsauslösenden Reize nicht als etwas normales, unbedrohliches kennen lernt, sondern der Ausnahmecharakter dieser Situationen für den Hund verstärkt wird.

Ganz wichtig ist es niemals Aggression mit Gegenaggression zu beantworten, wer Hunde anschreit, schlägt oder sonst aggressiv angreift, entfernt sich mehr und mehr von der Vermittlung der Alternativverhaltensweisen und schraubt die Spirale der Deeskalationen nur höher.

Als nächster Schritt muss an den grundsätzlichen Mängeln gearbeitet werden, der Hund muss mit einer soliden Ausbildung fahrbar werden und eine starke Bindung zum Besitzer entwickeln um in jeder Beziehung vollstes Vertrauen zu seinem Herrchen zu haben. Wir nehmen ihm mit dieser Sicherheit einen Großteil der Gründe selbst aktiv in das Geschehen einzugreifen.

Stimmen diese Grundvoraussetzungen kann man anfangen das spezielle Problem anzugehen. In der Regel zuerst mit einer systematischen Desensibilisierung.

Dies ist eine heikle Angelegenheit die immer in die Hände von Fachleuten gehört. Sind die Reize denen man den Hund aussetzt zu stark, wird ungünstigstenfalls alles zunichte gemacht was wir bisher aufbauten ist er zu schwach, verfehlt er die Wirkung. Der Reiz ist solange als eindeutig zu stark zu bewerten wie der Hund Anzeichen unangenehmer Empfindungen zeigt. Dies ist weit vor dem Angriff – schon das Zurücklegen der Ohren, schon ein steifer Gang kann dies signalisieren. In der Hand von Laien ist eine Desensibilisierung ein Glücksspiel welches das Problem meist verstärkt statt zu beheben. Der Prozess der Desensibilisierung kann je nach Ausgangslage Tage bis Monate dauern.

An diese Phase schließt sich dann die Phase des Vermitteln von Alternativverhalten an, wie ich es im Erziehungskapitel dieser Webseite schildere.

Durch diese fünf Säulen können letztendlich die meisten Aggressionsstörungen behoben werden:

  • Erstmaßnahmen zum Schutze der Umwelt
  • Diagnose der Aggressionsform und des Auslösereizes
  • Verstärkung der Bindung und Führbarkeit ( wie auf dieser Webseite beschrieben)
  • Desensibilisierung
  • Vermitteln von Alternativverhalten ( wie auf dieser Webseite beschrieben)

 

Ist das Verhalten nicht zu beheben, so ist man als Besitzer verpflichtet den Hund sein ganzes Leben unter den oben genannten Erst- und Sicherheitsmaßnahmen wie Leine und Maulkorb zu führen, auch wenn es seinen Freiraum ganz erheblich einschränken und die Probleme verstärken wird.

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Hierbei ist es wichtig den Hund nun verstärkt geistig und körperlich zu fordern da die Einschränkung seiner Kommunikations– und Bewegungsfähigkeit ihn nicht genug auslasten wird, was ebenfalls zu einer Aggressionssteigerung führen kann.

Ist es nicht möglich den Hund im eigenem Umfeld sicher für die Umwelt zu führen, sollte man ihn an eine Tierschutzorganisation abgeben welche die schwere Aufgabe übernehmen muss Halter zu finden die dem Hund zu einem hundgerechten Leben verhelfen können.

So hart es klingt: Die Sicherheit unbeteiligter Personen geht vor!

 

Text: Andreas Noll / Lengerich

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